KAPITEL 3

 

Zukunft aus der Geschichte

 

Sicherte schon um 1890 Arbeitsplätze und liefert 2011 Strom:
Das Donaukraftwerk Rottenacker südwestlich von Ulm

 

5 Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr in Baden-Württemberg.

Elektrizität für fast 30% der Bevölkerung im Südwesten.

Dieser Jahres-Strom-Ertrag ließe sich nahezu verdoppeln.

Keine fixe Idee, sondern das Ergebnis mehrerer Studien. Und das Resultat erster praktischer Erfahrungen vor Ort in Süddeutschland.

 

Darüber berichtet dieser Internetauftritt. Er zeigt, dass allein in Baden-Württemberg in nicht all zu ferner Zeit (2020?) mit 10 Milliarden Kilowattstunden elektrischem Jahresertrag aus heimischer Wasserkraft Strom für den privaten Bedarf von über 6 Millionen Personen entstehen könnte. Und damit für fast zwei Drittel der Bevölkerung des Südweststaates.

Immerhin: Das Nachbar-Bundesland Bayern deckt den privaten Elektrizitätsbedarf seiner Bevölkerung bereits komplett mit heimischer Wasserkraft.

Strom von hier. Nicht zuletzt stark erarbeitet in mittelsständischen Betrieben Baden-Württembergs. Also von vergleichsweise überschaubaren Firmen die in der Spätzlesrepublik selbst Arbeitskräfte beschäftigen und hier Steuern zahlen.

 

Wen wundert es da, das über 80% der Deutschen bei Umfragen Wasserkraft als „Wunschenergie“ bezeichnen (zum Vergleich: Atomkraft etwa 12%)?

 

Elektrizität aus Wasserkraft: Strom von hier: Klimafreundlich und bei der Bevölkerung beliebt.

 

Was geht?

Oder: Welche Aussichten auf mehr Strom aus Wasserkraft tun sich also in Baden-Württemberg auf?

Einer wenig spekulativen Antwort darauf kommt konkret näher, wer geschichtliche Fakten wahrnimmt. So hat der Ulmer Historiker Dr. Uwe Schmidt in seinem von der IHK Ulm herausgegebenen Buch „Die Südbahn“  auf 3.915 Wassertriebwerke hingewiesen. 3.915 Wasserkraftanlagen,  die 1895 bis zu 47% der Antriebsenergie des Gewerbes im Königreich Württemberg gewannen. Dabei umfasst Baden-Württemberg mit dem ehemaligen Hohenzollern und Baden heute viel mehr Land als allein Württemberg. Auf dem Gebiet des heutigen Südwest-Bundeslandes dürften vor über 100 Jahren demnach etwa 5.000 –6.000 Wasserkraftanlagen in Schwung gewesen sein. Zum Vergleich: Im Jahr 2011 arbeiteten in   g a n z   Baden-Württemberg höchstens rund  1.700 Wasserkraftanlagen. Also nicht mal halb so viele wie 1895 allein im württembergischen Landesteil.

 

Seither haben kluge Köpfe immer wieder untersucht, zu ermitteln, ob sich die heute arbeitenden Wassertriebwerke in der Spätzlesrepublik vermehren ließen – ob die Kraft des stürzenden Nass nicht doch wesentlich stärker zur Stromproduktion im Land beitragen könne.

 

Dagegen glaubte die entscheidende Politik in den 1950er, 1960er und teils auch noch in den 70er und 80er Jahren, die Elektrizität in Deutschland wäre größtenteils mit Atomkraft her zu stellen. Doch spätestens die Reaktorkatastrophe im ukrainischen Atommeiler Tschernobyl, April 1986, weckte viele aus diesen energiepolitischen Träumereien.

Ende April 2011 ist das 25 Jahre her.

Der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende im Stuttgarter Landtag, Erwin Teufel, erklärte am 28. Mai 1986:

            „Die Weichen für Alternativen zur Atomkraft müssen heute gestellt werden und nicht

            erst im Jahr 2000. Jetzt muss erforscht und entwickelt werden, was später in Serie

            genutzt werden soll. Die Zukunft gehört nicht der Kernkraft, weil kein Mensch mit so

            großen Risiken leben will, wenn es risikoärmere, gefahrlosere Arten der Energie-

            erzeugung gibt.“

 

Wenn Erwin Teufel bereits 1986 festlegte, „die Zukunft gehört nicht der Kernkraft“ und forderte, „die Weichen für Alternativen zur Atomkraft“ gleich zu stellen, dann klang das klar. Eindeutig.

 

Seither hat sich einiges getan. Wenn auch nicht genug. Aber mehr als von vielen vorausgesagt. Viel mehr. Vermutete die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 noch, 2010 könnten in Deutschland etwa 12% des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden, so gewinnen diese regenerativen Kräfte 2010 schon rund 17% der zwischen Waterkant und Watzmann verbrauchten Elektrizität. Bald ein Fünftel? Tendenz bereits heute: Stark steigend.

Erneuerbare Energien leisten meist also deutlich mehr, als von ihnen erwartet wurde – und wird.

 

Fast  25 Jahre nach den Schreckensmeldungen vom ukrainischen Atommeiler liefern Windkraftwerke in Deutschland an manchen Tagen mehr Strom als die Kernreaktoren auf dem Boden der „Berliner Republik“. Ja  manchmal sogar beinahe mehr, als Stromkonzerne wie die „Energie Baden-Württemberg“ (EnBW) in ihre Netze aufnehmen können.  Die meisten dieser Windräder drehen sich indes außerhalb Baden-Württembergs. Fachleute beklagen, auf über 95% der Landesfläche durften bisher (2010) gar keine Windriesen aufgestellt werden.

Doch die Sonne hat noch viele Töchter. Tageslicht zum Beispiel.

Der regierungs-amtliche „Staatsanzeiger“ Baden-Württemberg berichtete am 12. November 2007, rund 70% des privaten Strombedarfs im Südwesten lasse sich aus Solarzellen ausschließlich auf bestehenden Dächern im Land decken. Dies habe Professorin Martina Klärle mit Luftbild-Scanns und ähnlichen Darstellungen erforscht. Später, im Film „The 4th revolution. energy autonomy“ des baden-württembergischen Filmemachers  Carl. A. Fechner (Erstveröffentlichung Frühjahr 2010) erklärt Wissenschaftlerin Klärle, rund 60% der deutschen Dächer mit Solarzellen bedeckt, könnten die gesamte, pro Jahr in Deutschland verbrauchte Strommenge liefern. Die für Deutschland notwendige Strommenge also komplett aus direkt leuchtender Sonnenenergie. Es scheint sich zu lohnen, manchmal noch genauer hin zu schauen.

 

Ähnlich steigerungs-freudige Studien wie diejenige von Professorin Martina Klärle gab und gibt es zur Energie des tosenden Nass. Also zur Sonnentochter Wasserkraft.  Allerdings zum Teil schon seit über 20 Jahren.

 

1987:

Gutachten der Universität Stuttgart schlägt mehr als doppelt so viele Wasserkraftwerke vor, wie 2010 in Baden-Württemberg arbeiten

 

Direkt nachdem Erwin Teufel 1986 im Stuttgarter Landtag der Atomkraft keine Zukunft vorausgesagt hatte, tat sich `was im Südwesten. Ministerpräsident Lothar Späths Kabinett bestellte, was Politiker in Zeiten erkannter Gefahr gerne ordern: ein Gutachten.

Damit beauftragt: Die Universität Stuttgart.

 

Bereits im November 1987 veröffentlichte die Hochschule einen 567 Seiten starken Band. Titel: „Perspektiven der Energieversorgung“. Unter Leitung von Professor Voß – alles andere als ein Atomkraft-Gegner bekannt – stellten Fachleute darin „Möglichkeiten der Umstrukturierung der Energieversorgung Baden-Württembergs unter besonderer Berücksichtigung der Stromversorgung“ dar.

Ihre Arbeit führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „in dem Bewusstsein“ aus, „dass die Entscheidungen über die Ausgestaltung unseres zukünftigen Energiesystems letztlich politisch-gesellschaftliche Wertentscheidungen sind“. 

Sprich: Technisch ist vieles möglich – es muss aber politisch auch gewollt sein.

 

Zur damals größten erneuerbaren Energiequelle für Strom im Land - also zur Wasserkraft -  offenbarte das Gutachten 1987 nicht zuletzt erhebliche Wissenslücken. So „sind privat betriebene Kleinwasserkraftwerke kaum bzw. gar nicht erfasst“, stand da über „die vorliegenden Statistiken“. Deshalb schätzte die Studie 700 Kleinwasserkraftwerke, erläuterte dann aber: „Vermutlich ist jedoch eine größere Anzahl von Kleinwasserkraftwerken in Betrieb.“ Trotz dieser Informations-Mängel stand im Gutachten der Universität Stuttgart von „zusätzlichen Arbeitsvermögen“ der Wasserkraft im Land – „entsprechend 60% des bereits genutzten“. Eine Zahl, die einer Einschätzung der „Energie Baden-Württemberg EnBW“ von 2009 verblüffend ähnlich wirkt: Die EnBW nennt neuerdings Steigerunsmöglichkeiten aus Strom von Wasserkraftwerken von 50% im Südwesten. Übrigens ähnlich wie die Universität Stuttgart. Sie beziffert das Steigerungspotenzial der Wasserkraft im Land auf 50-70% (wie das „Südwestrundfunk“-Fernsehen am 8. Februar 2010 berichtete).

 

Bemerkenswert: Die Stuttgarter Studie von 1987 ging davon aus, dass sich „bei voller Ausschöpfung des technischen  Potenzials die Gewichte in Richtung kleinerer Wasserkraftwerke verschieben“ würden. Das Groß also bei den Kleinen.

 

Kein Wunder also, dass das Gutachten forderte:

 

„Neben der vollen Ausschöpfung der bestehenden 3.134 Wasserrechte erfordert dies einen Neuzugang von weiten 940 Wasserrechten.“

 

Zum Vergleich: Anfang 2011 arbeiten in Baden-Württemberg höchstens rund 1.700 aktive Wasserkraftanlagen.

Das Gutachten der Universität Stuttgart 1987 nannte aber 3.134 alte Wasser-Nutzungs-Rechte - also fast das Doppelte.

Mehr noch: 940 völlig neue Anlagen sollten außerdem zusätzlich dazu kommen.

Damit hatten die Stuttgarter Universitäts-Gutachter immerhin 4.074 Wasserkraftwerke vorgeschlagen.

Jene rund 1.700, die Anfang 2011 tatsächlich laufen, machen von der Zahl der universitär Vorgeschlagenen nur rund 40% aus.

 

Ergebnis: Eine Studie der Universität Stuttgart schlug schon 1987 deutlich mehr als doppelt so vielen Wasserkraftanlagen vor, wie gut 20 Jahre später im Südwesten tatsächlich rattern, brummeln und surren.

 

Die Forschung, die Erwin Teufel 1986 gewünscht hatte, lag in Sachen Wasserkraft als landesweite Übersicht also bereits 1987 vor.

Vor über 20 Jahren.

 

Warum folgte die handelnde Politik dann nicht dem Gutachten der Wissenschaft?

 

Einer der Gründe für dieses schwache Handeln mag in einer erkennbaren Hörigkeit der herrschenden Politik gegenüber großen Energiekonzernen liegen. Reicht deren Einfluss doch bis hinauf in höchste Bundesebenen. Sowohl der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch sein Wirtschaftminister Werner Müller dienten nach ihrem Abgang aus offiziell politischen Ämtern Energiekonzernen.  Selbst der ehemalige „grüne“ Außenminister Joschka Fischer  berät heute unter anderem Erdgas liefernde Firmenverbünde.

Ähnliche Verbindungen zeigen sich auf Landesebene. So saßen etliche Abgeordnete auf ihrem Weg in den Stuttgarter Landtag zunächst auf den Chefsesseln von Landratsämtern. Und mehrere dieser Kreise zählen zu den Eigentümern der „Energie Baden-Württemberg“ (EnBW) – viele davon als Anteilseigner der OEW (Oberschwäbische Elektrizitäts Werke).  Beispiel: Der frühere Biberacher Landrat Dr. Wilfried Steuer (CDU) übernahm nach seiner Tätigkeit in Oberschwaben die Leitung der EnBW-Vorgängerin „EVS“.

 

 Nicht zuletzt ihren Politikern schrieben diese „deutschen Stromversorger“ mit einer gut sichtbaren Anzeige in Tagszeitungen kurz nach dem Reaktorunfall Tschernobyl 1986 ins Stammbuch, sie nutzen die umweltfreundliche Wasserkraft  „soweit es unsere Flüsse erlauben“.

 

(So zum Beispiel in der „Schwäbischen Zeitung“ vom 6. Mai 1986.)

 

Angesichts der Zahlen der Universität Stuttgart erwies sich diese Behauptung der Stromkonzerne als weithin falsch. Inzwischen baut die EnBW als „deutscher Stromversorger“ im Südwesten mit dem neuen Wasser-Großkraftwerk Rheinfelden eine der ertragsreichsten Anlagen zur Gewinnung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen in Europa überhaupt.

Eher am Rand mag da noch die Frage erlaubt sein, ob „die deutschen Stromversorger“ damals die Tatsachen nicht kannten oder schlicht logen. Wahrscheinlicher, dass die Propaganda-Strategen der Stromriesen absichtlich die Unwahrheit verbreiteten? Oder wusste bei dem großen Stromkonzern damals ‚die linke Hand nicht was die rechte tut’?

Zumindest genauere Zahlen über viel mehr Wasserkraftanlagen in Südwestdeutschland früher als heute waren dem Archiv der EnBW-Vorgängerin EVS wohl längst bekannt.

 

Dort lag nämlich eine Untersuchung, die die damaligen Militärregierungen 1946 in Auftrag gegeben hatten.

Ergebnis: Allein in Württemberg 1946 etwa 3.300 aktive Wassertriebwerke.

Wiederum Württemberg ohne Hohenzollern und Baden. Wäre dieser weitenteils bergig-regegenreiche heutige Landesteil mit seinem Schwarzwald damals auch noch in die Erhebung einbezogen worden, dürfte die Zahl der Wasserkraftanlagen um die Mitte der 1940er Jahre auf dem Gebiet des jetzigen Baden-Württemberg bei gut 5.000 gelegen haben. Mancher Fachmann nennt sogar noch größere Zahlen: Manfred Lüttke, bis 2009 Präsident der mittelständisch geprägten „Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg eV“ (AWK) – und über 20 Jahre lang ihr aktives Oberhaupt mit unzähligen Kenntnissen der Verhältnisse vor Ort - erwähnt 6.000 Wasserkraftanlagen, die einst Baden, Hohenzollern und Württemberg ratterten, brummelten und surrten.

 

Und Lüttke kennt die Wasserkraft im Land wie kaum ein anderer. Bearbeitet er doch immer wieder Dutzende von Fällen, in denen sich Wasserkraftbetreiberinnen und –betreiber von Behörden drangsaliert fühlen. Umso wichtiger für Lüttke dabei: Einblicke in die Wasserkraftnutzung ganzer Gewässerstrecken.

 

Mehr zur

„Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg eV“ )AWK) unter

www.wasserkraft.org

 

Mindestens 5.000 vor 65 Jahren – im Vergleich zu etwa 1.700 heute. Also damals gut drei mal mehr.

 

Da scheint die Meinung, mehr als doppelt so viel Strom als derzeit könne die Wasserkraft im Land künftig erzeugen, doch eher ‚konservativ’ vorsichtig veranschlagt.

 

„Da gibt es wieder viel zu tun.“

Konkret und vor Ort

 

 

Umso erstaunlicher die Aussage der „deutschen Stromversorger“ von 1986, die Energie des treibenden Nass werde in Deutschland schon genutzt „so weit es unsere Flüsse erlauben“. Noch abwegiger liest sich da die Behauptung des „grünen“ Bundesumweltministers Jürgen Trittin 2006, beim Ausbau der Wasserkraft seien in der Bundesrepublik  „die Grenzen erreicht“.

Die Mär aus den Atomstrom-Konzernen – vom „grünen“ Umweltminister weiter verbreitet.

 

Ernst-Ulrich von Weizsäcker, international geachteter Gründungsprofessor des „Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie“ brachte die Entwicklung der Wasserkraft im Land – verglichen mit historischen Zahlen – wohl eher auf den Punkt, als er 1998 erklärte:

 

            „Und in Süddeutschland ist auch die Wasserkraft wieder eine relevante Größe.

            Sie ist ja stark zurückgegangen, weil die großen Stromversorger geradezu ein

            Interesse daran hatten, die dezentrale Energieversorgung kaputt zu machen.“

 

Weizsäcker wich von dieser Erkenntnis indes auch nicht ab. 2002 und 2010 sagte er über die „kleine“ Wasserkraft im deutschen Süden:

 

            „Da gibt es wieder viel zu tun.“

 

“Viel zu tun“ darf dabei wörtlich verstanden werden. Immerhin 5.000 zusätzliche Arbeitsplätze erwartet die „Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg eV“ (AWK) aus Aufträgen zur Verdoppelung des Stromertrags aus Wasserkraft im Land. 5.000 Stellen bis etwa 2020. Zum Beispiel im Baugewerbe.

 

Dabei kann sich Ernst Ulrich von Weizsäcker nicht nur auf historische Untersuchungen berufen – vom EVS-Archiv bis hin zu IHK – sondern auch auf Potenzialabschätzungen vor Ort.

 

Was ‚geht’ also in der eigenen, unmittelbaren Umgebung mit Wasserkraft?

 

Dazu mehr im Kapitel 4.

 

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